Sonntag, 13. März 2016



[20. - 24. Oktober 2014] Die Ortschaften in der Toskana lagen ja schon mit Vorliebe oben auf dem Berg, aber in diesem Gebiet Mittelitaliens haben die Etrusker es damals im wahrsten Sinne des Wortes auf die Spitze getrieben: Auf schwer zugänglichen, abgelegenen Felsen hat man Siedlungen errichtet und dort oben eine ganz eigene Lebensweise entwickelt. Heute werden die inzwischen wunderschön verschachtelten Orte von den Italienern "paese che muore" genannt; zu deutsch etwa sterbende Stadt oder auch Heimat. Denn es werden immer weniger Leute, die heutzutage noch so abgelegen wohnen wollen und außerdem schrumpft der Platz durch abbröckelndes Felsgestein langsam aber sicher immer weiter zusammen.
Drei solcher Orte habe ich auf meinem Weg nach Rom noch besucht.

Montag, 20. Oktober 2014
Noch bin ich in der Toskana, als ich früh morgens das Zelt zusammenfalte. Nur noch ein paar Kilometer und ich bin drüben in Lazio (Latium), der Region, in der auch Rom liegt.
Interessanter Anblick unterwegs ist ein Feld, das von weitem fast wie verschneit aussieht - in Wirklichkeit war es aber komplett mit im Morgentau glitzernden Spinnenweben bedeckt. Keine Ahnung, welche Art dafür zuständig war, aber in dem Ausmaß habe ich sowas noch nie gesehen.



Im Laufe des Tages wurde es dann immer wärmer, fast wie im Sommer zu Hause. Ich passiere den fast kreisrunden Bolsenasee, der wie ein riesiger, wassergefüllter Krater wirkt. Tatsächlich war das hier mal vulkanisches Gebiet. Die Toskana habe ich inzwischen hinter mir gelassen, hügelig ist's aber immer noch.



Abends komme ich schließlich in Bagnoregio an und kann im Dunkeln vom Aussichtspunkt schon die Civita erkennen: Den historischen Ortskern, der auch die erste "sterbende Stadt" auf meinem Weg ist. Da werde ich dann morgen vorbeischauen. Erstmal lade ich hier oben meine Akkus auf, denn das Lokal hier hat Außensteckdosen und die Inhaber erlauben mir, sie für ein Weilchen zu nutzen. Schließlich lege ich mich am Aussichtspunkt unter freiem Himmel schlafen.



Dienstag, 21. Oktober 2014
Ruhetag. Ziemlich neblig heute morgen...


Aber nicht für lange. Schon bald wird der Blick auf die Civita frei und die Fotografen freuen sich.


Ein einsamer Berg aus Tuffstein ragt hier aus dem Tal; bei den Etruskern vor über zweieinhalb Jahrtausenden waren solche Orte besonders beliebt, um Siedlungen anzulegen. Man hat alles im Blick, kann sich leicht vor Feinden schützen und das Gestein aus vulkanischen Ablagerungen lässt sich hervorragend bearbeiten. Aber mal abgesehen von den ganzen praktischen Gründen: Optisch macht's eben auch was her.


Früher war die Brücke mal rustikaler und ein Teil des Weges weiter vorn war noch in Stein gehauen. Bei einem Erdbeben vor ein paar Jahrzehnten wurde dieser Zugang zum Dorf aber komplett verwüstet und auch die Häuser haben Schaden genommen. Auch sonst kommt es im Laufe der Zeit immer mal wieder zu Erdrutschen, bei denen die Felsen am Rand abbrechen und auch mal ein paar Wände mit runterreißen.
Heute hat das Dorf nur noch 20 dauerhafte Einwohner (plus einige Katzen), über den Sommer können es aber zeitweise um die 300 sein. Denn schön ist es hier zweifellos, und wer nicht gerade viele Wege zu gehen hat, nutzt gern eines der Häuser als Sommerresidenz. Das ist noch nicht lange so: Noch in den Achzigern lebten hier wirklich nur um die 10 Menschen ganz zurückgezogen und der Ort war weitgehend unbekannt. Schließlich wurde er aber von einigen Aussteigern und Naturliebhabern wiederentdeckt und man hat versucht, ihn als touristisches Ziel umzukrempeln.
Inzwischen kann man dort also essen gehen, übernachten und Souvenirs kaufen, allein ist man auch nicht mehr. Ruiniert irgendwie ein Bisschen das Flair, was ich sehr schade finde. Aber andererseits hätte ich von dem Ort wohl sonst auch nie erfahren... Natürlich ist das hier bei Weitem keine Touristenhochburg und könnte immer noch als Geheimtip durchgehen, aber bei der Größe machen auch wenige Besucher was aus.
Einen Wegezoll haben sie inzwischen auch eingeführt: Vor der neuen Brücke soll man 1,50€ spenden, die dann für Sanierung und Instandhaltung verwendet werden. Aber so wie ich das beobachtet habe, stehen die Leutchen auch nicht den ganzen Tag dort.

Genug geschwafelt, Zeit für Bilder:


Hier sieht man oben noch ein paar Restschäden vom Erdbeben.



"Bitte die Pflanzen nicht berühren. Kein Picknick. Danke."


Die wahren Einwohner dieses Dorfes.

Blick vom Dorf auf die umliegende Landschaft.

Komische Löcher sind da auf der Felswand gegenüber... Was es mit denen auf sich hat, werde ich dann morgen im nächsten Ort erfahren.

Mittwoch, 22. Oktober 2014


So, heute soll's nach Orvieto gehen. Die Stadt liegt im Südwesten der italienischen Region Umbrien, die unter Anderem für ihre Trüffel und Esskastanien bekannt ist. Es ist kein allzu weiter Weg von Bagnoregio aus und schon bald habe ich die Stadt im Blickfeld. Ist auch nicht zu übersehen.



Auch Orvieto liegt oben auf einem Plateau aus Tuffstein, dem gerne mal was abbröckelt und wurde genauso angelegt wie Civita di Bagnoregio. Ist nur halt ein gutes Stück größer. Als "sterbende Stadt" wird Orvieto in der Regel jedoch nicht bezeichnet, dazu wohnen doch noch genug (ca. 20.000) Leute auf dem Berg und man kommt bequem mit dem Auto hoch. Beziehungsweise eben mit dem Fahrrad, aber das ist dann nicht ganz so bequem.
Vorher versuche ich noch, mich mit einem frisch gepflückten Granatapfel zu stärken und stelle fest, dass es gar nicht mal so leicht ist, diese seltsam verschwurbelte und harte Frucht in absehbahrer Zeit ohne größere Sauerei aufzuessen. Ist aber lecker.




Blick von oben ins Tibertal.

Fassade der Basilika

Als ich mich in Ruhe umschaue, fällt mir Werbung für den "Orvieto Underground" auf: Wie's aussieht, haben die Menschen hier früher ein zusammenhängendes Höhlenlabyrinth unter der ganzen Stadt gegraben. Das hört sich interessant an und eine Führung soll's heute noch geben. Also auf zur Touristeninfo, Ticket kaufen und warten. Außer mir wartet dort auch noch ein Schweizer namens Arthur, der ebenfalls mit dem Fahrrad hier unterwegs ist. Er ist pensioniert und hat jetzt Zeit für sowas.
Schließlich kommt eine Dame, die unsere Gruppe von fünf Mann eine unscheinbare Treppe hinunter zu einer Tür führt. Schnell noch die letzte Führung vorm Feierabend absolvieren. Und das hier verbirgt sich hinter der Tür:





Die Etrusker haben damals vor 2500 Jahren einfach angefangen, von ihren Häusern aus senkrecht nach unten zu graben und dann nach Gutdünken ihre Kellergewölbe anzulegen. Da konnte es auch mal passieren, dass man beim Gänge buddeln aus Versehen im Keller vom Nachbarn rauskommt, so wie im Bild oben.
Andere "Sackgassen" rufen einem dann ins Gedächtnis, dass dieser Untergrund eigentlich in luftiger Höhe liegt: Man ist zwar direkt unter der Stadt, aber wenn ein Gang mal weit genug zur Seite führt, bricht er an der steilen Felswand des Berges durch und man schaut runter ins Tal.

Wer sich fragt, was die kleinen Löcher überall in den Höhlenwänden zu bedeuten haben: Dort drin hat man Tauben gehalten. Keine Brieftauben, sondern die waren tatsächlich zum essen da. In die Außenwände hat man ähnliche Löcher gehauen, durch die die Tauben immer raus zum Futter suchen und wieder rein in ihre Höhlenwohnungen fliegen konnten. Die Löcher, die ich gestern von Bagnoregio aus gesehen habe, waren auch genau das. Scheinen eine Art Markenzeichen der Etrusker zu sein, solche Höhlenkomplexe haben sie nicht nur hier unter Orvieto gegraben.


Problematisch war in der Zeit vor modernen Leitungen natürlich die Beschaffung von Wasser hier auf dem Plateau. Dazu musste man entweder runter ins Tal laufen oder ganz tief graben... Deshalb sieht man in den Höhlen manchmal eine Art gemauerte Röhre im Weg stehen; das ist dann einfach ein privater Brunnen gewesen, der hier den Höhlenkomplex quert und weiter nach unten führt. Andere wiederum sind offen, da hat man dann ein Loch in der Decke und eines im Boden darunter, das dann bis zu 90 Meter tief sein kann.
Neben all den kleinen gibt es auch noch einen großen, öffentlich begehbaren Brunnen mit Treppen, der sehr viel später im 16. Jahrhundert angelegt wurde. Pozzo di San Patrizio heißt er und ist die bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt. Als wir wieder draußen sind meint Radelveteran Arthur, dass er sich den Brunnen gern mal anschauen würde aber nicht weiß, wo er überhaupt zu finden ist. Da ich vorhin schon dort vorbeigekommen bin, zeige ich ihm kurzerhand den Weg.
Ich überlege, ob ich mit reinkommen soll. Der Eintritt kostet nochmal fünf Euro... Aber nachdem ich das Fahrrad abgestellt habe, stelle ich fest, dass Arthur als Dank einfach eine Karte für mich mit gekauft hat. Wunderbar!





Die Besonderheit des Brunnens sind seine Treppen: Man hat hier zwei Wendeltreppen wie in einer Doppelhelix ineinandergeschachtelt, sodass man zwei unabhängige Gänge untereinander hat. Unten am Wasser liegen ihre Ausgänge dann gegenüber und sind mit einer Brücke verbunden. Das hatte früher einen ganz praktischen Nutzen: Fürs Wasserholen wurden Esel genutzt, die jeweils in einem Gang nur bis zum Grund liefen und in dem anderen wieder hoch, ohne dass die beiden Kolonnen sich trafen.

Arthur am Grund des Brunnens. Alles voller Münzen...

Als ich wieder draußen bin, ist es dunkel geworden - Zeit zum Schlafengehen. Um Orvieto herum hat man eine gewaltige Stadtmauer errichtet, an deren Toren sich so einige potenzielle Schlafplätze finden lassen. Wäre ich ohne Fahrrad unterwegs, könnte ich an einigen Stellen irgendwo hochklettern und komplett unentdeckt auf irgendwelchen Absätzen oder in irgendwelchen Lücken nächtigen. Habe mich dann aber doch für die Wiese zwischen einem der Doppelgemäuer entschieden.

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Morgendlicher Blick vom Kastell auf den Brunnen.

So. Jetzt aber genug rumgetrödelt, auf in den Süden nach Rom. In der bei Fahrtwind geradezu eisigen Morgenluft rausche ich den Berg von Orvieto herunter und folge schließlich für eine Weile dem Tibertal, kürze aber später über eine Art kleines Hochland ab. Eindrücke:





Abends staune ich nicht schlecht, als ich am Straßenrand eine waschechte Fichte entdecke.  
Picea abies. Mit Zapfen. Habe ich schon ewig nicht mehr gesehen und in diesen Breitengraden gar nicht mehr erwartet. Im Landesinneren mit seinen Bergen ist's halt doch noch kühler...

Freitag, 24. Oktober 2014


Feigenblätter können nicht nur Genitalien verdecken.


So. Wenn alles gut geht, bin ich heute Abend in Rom! Erstmal wieder runter ins Tal, wo keine Fichten mehr wachsen, und dann einfach schnurstracks den Wegweisern folgen... Wäre da nicht Calcata Vecchia, das ich mir vor ein paar Tagen als mögliches Zwischenziel herausgesucht habe. Es gab da hübsche Bilder im Internet.
Calcata würde einen Umweg von ein paar Kilometern bedeuten und ich hadere noch mit mir, ob ich nicht lieber den direkten Weg nehmen soll. Schließlich entscheide ich mich dann doch wieder fürs rumtrödeln - und bereue es ganz und gar nicht!



Von weitem ist  Calcata Vecchia zwar nicht ganz so ungeheuer fotogen wie Civita di Bagnogerio, aber das Dorf selbst finde ich viel hübscher und einladender. Auf den Bildern kommt das gar nicht mal so gut zur Geltung, es ist die ganze verschachtelte Anordnung der Häuser, Gassen und Treppen, die beim Erkunden einfach ein großartiges Gesamtbild ergibt. Perfektes Leveldesign quasi. Hätte hier eigentlich ein Video machen müssen.
Mal ein Künstleratelier, mal eine Bar und am Rand das chaotisch-sympathische Flair einer Hippie-Kommune. Steile Treppen, beschauliche Gassen, Hauseinänge in der Felswand... und im Gegensatz zu Civita di Banoregio nicht auf Tourismus ausgelegt oder mit einm Eintrittspreis versehen. Einfach nur ein hübsches, etwas verschrobenes Dorf. Achtung, Bilderspam:









 




In vielen der Fenster hängt ein Schild mit der Aufschrift "Vendesi": Zu verkaufen. Viele der Häuser stehen leer, kann ich gar nicht nachvollziehen. Eine Bewohnerin, die mich schon kurz nach meiner Ankunft begrüßt hat, meint, dass die Mietpreise gar nicht mal so hoch sind. Es ist bloß für viele zu unkomfortabel auf dem Fels hier. Also ich für meinen Teil hätte nichts dagegen, mal für ein kleines Weilchen hier zu leben... Sie erzählt mir, dass die meisten Leute hier nur ein paar Monate lang wohnen und dann weiterziehen. Ein ständiges Kommen und Gehen. Da wäre ich also nicht der einzige mit der Idee. Sie selbst ist aber schon vor 40 Jahren hierhergekommen und nie wieder gegangen...

Ich für meinen Teil mache mich dann aber wieder auf den Weg nach Rom.




Nach und nach wird die Straße breiter und der Verkehr verdichtet sich allmählich auch. Wie auf einer Lebensader rausche ich im abendlichen Verkehr hinuter in die ewige Stadt, das pulsierende Herz des Landes. Nach einer Internet-Session bei McDoof suche ich mir eine verlassene Wiese hier am nörlichen Stadtrand, auf der ich versteckt zelten kann.

In Rom werde ich erstmal eine Woche bleiben. Jens, den ich in San Marino getroffen habe, hatte mich ja eingeladen und natürlich gibt es hier viel zu sehen. Sehr viel.

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