Donnerstag, 27. November 2014

Nördlingen - The Walled City

Eine kleine, runde Stadt, in der irgendwie die Zeit stehen geblieben zu sein scheint: Das schwäbische Nördlingen ist noch komplett von seiner mittelalterlichen Stadtmauer umgeben. Und während die meisten anderen historischen Städte inzwischen ins Unermessliche über ihre ehemaligen Grenzen hinaus gewachsen sind, gibt es hier noch Wiesen und Felder in der nächsten Nahbarschaft. Aber auch innerhalb seiner Mauern versprüht die Stadt irgendwie einen ganz besonderen, gemütlichen Charme vergangener Zeiten, der Genießer aus den verschiedensten Ländern anlockt. Sogar aus dem fernen Japan kommt immer wieder Besuch, wenn auch teilweise aus anderen Gründen...

Los geht's direkt mit einigen Bildern für den ersten Eindruck. Als ich in Nördlingen ankam, war das Wetter zwar erstmal nicht das schönste, aber im Laufe des Tages wurde das dann noch.

Links in rot die Alte Schranne, diente früher als Kornspeicher für den Geteidehandel.

Die Gerber gehörten zu den wohlhabendsten und einflussreichsten Leuten der Stadt.

Man beachte: Da oben auf dem Dach ist ein Storchennest. Bewohnt von Störchen. Echten.


Links der "Narrenspiegel" in einer Ecke am Rathaus. Selbsterklärend.



Genau, das hier ist die Stadtmauer. Entspricht vielleicht nicht dem typischen Bild, das man vor Augen hat, aber damals (14. Jahrhundert) wurde in der Gegend eben in diesem Stil gebaut. Insgesamt ist sie ca. 7 Meter hoch, vollständig erhalten und begehbar, größtenteils ist der Wehrgang auch überdacht. Zur Innenseite ist der Gang geöffnet, die Außenwelt lässt sich durch schmale Ritzen überwachen. In ungefähr einer Dreiviertelstunde kann man die kleine Stadt gemütlich umrunden und mal von einem etwas erhöhten Blickwinkel betrachten:


 Der Turm gehört zu einem der fünf Stadttore.


Dieser markante Kirchturm, der von den Einheimischen einfach "Daniel" genannt wird, befindet sich direkt im Zentrum der fast kreisrunden Stadt. Wenn man ihn besteigt, kann man Nördlingen noch einmal in alle Richtungen von ganz oben anschauen, so ist auch das Einstiegsbild entstanden. 350 Stufen sind es bis zum Türmer, bei dem es auch Andenken zu kaufen gibt, weitere 18 dann bis zur Aussichtsplattform in 70 Metern Höhe. Früher gab's mal einen Fahrstuhl...



Blick aufs Rathaus.

Aber die Aussicht ist nicht das Einzige, was es hier oben zu sehen gibt. Beim Türmer wohnt nämlich auch noch diese Dame hier:


Die offizielle Turmkatze Wendelstein. Vor knapp fünf Jahren kam sie von irgendwoher die Treppen hochgelaufen und entschied sich, zu bleiben. Warum sie ausgerechnet oben im Kirchturm wohnen will, weiß keiner so recht, aber gegen ein Maskottchen hatte natürlich auch niemand was einzuwenden. Die Besucher lieben sie. Und inzwischen hat sie sogar Arbeit gefunden: Sie ist die wohl einzige angestellte Katze der Welt und führt offiziell die Berufsbezeichnung des Taubenjägers. Dafür bekommt sie von der Stadt ein Gehalt von 150€ im Monat, zwecks Katzenfutter. Wenn sie nicht gerade arbeitet, begleitet sie auch gern einmal Besucher auf dem Weg nach unten, döst oder bewacht, wie oben im Bild, das Gästebuch.

Apropros Gästebuch: Der Blick hinein eignet sich natürlich wunderbar, um festzustellen, woher die meisten Besucher so kommen. Und zwischen den ganzen Einträgen auf deutsch, englisch, französisch oder italienisch finden sich auch überraschend viele japanische, oftmals versehen mit kleinen Zeichnungen wie diesen:


Wie kommt's und was soll das?
Nun ja: Die Stadt hat als Inspiration für den Schauplatz einer Manga- und Animeserie gedient, die im Heimatland extrem erfolgreich ist und einen Haufen Fans hat. Um Attack on Titan handelt es sich. Die Geschichte spielt in einer Welt, in der sich die Menschheit in einer von riesigen Mauern umgebenen runden Stadt zurückgezogen hat, um sich vor menschenfressenden Titanen zu schützen. (Zum Glück ist das Lebensgefühl hier ein Anderes...) Innerhalb dieser Mauern ist kilometerweit alles voller mitelalterlicher Gebäude wie Fachwerkhäusern und Türmen, die dem Daniel ziemlich ähnlich sehen. Und da die Japaner ziemliche Enthusiasten sein können und sowieso total auf Deutschland stehen, kommen einige tatsächlich hierhergepilgert.
"Die kommen manchmal direkt in ihren Kostümen hier hoch", meinte der Türmer. "Die verkleiden sich als ihre Helden... so wie Spiderman, bloß halt deren Version. Wir hatten erstmal überhaupt keine Ahnung, was da los war. Irgendeiner hat's uns dann mal erklärt."
Aber Nördlingen wird nicht nur von Attack on Titan-Fans überrannt. Es gibt gleich noch eine weitere, ältere Animeserie, die allerdings nicht nur von der Stadt inspiriert wurde, sondern direkt hier spielt: Die Häuser und Gassen dienen dabei als Kulisse für die gezeichneten Figuren. Zwar wurden sie für das Layout etwas verändert oder vereinfacht, aber der Schauplatz ist trotzdem noch deutlich erkennbar:




Die Serie hört auf den Namen, äh... Princess Tutu und ist inzwischen 12 Jahre alt, hat aber trotzdem noch einige eingefleischte Fans, die tatsächlich bis nach Deutschland gereist kommen.
Und die Chinesen kommen inzwischen auch noch gern auf ihrem Deutschlandbesuch vorbeigeschneit, da Turmkatze Wendelstein sich dort im Internet großer Beliebtheit erfreut.

Dank diesem Zustrom aus dem fernen Osten gibt es inzwischen so viele Besucher, dass die Stadt in Erwägung zieht, außerhalb noch ein Hotel zu bauen. Die (geringen) Kapazitäten reichen nämlich kaum noch aus.
Trotzdem gibt es hier zum Glück noch keinen Massentourismus, der die ganze Atmosphäre zerstört. Man hört zwar immer wieder Leute in einer Fremdsprache reden, aber das war es dann auch schon. Ich hoffe mal, das bleibt auch noch eine Weile so...
In diese Straßen gehören einfach keine Schausteller und Verkaufsstände mit Magneten und Ramsch:





Hm, die Autos stören die Ästhetik auch ein wenig. Aber da wissen die Nördlinger Rat:
Alle drei Jahre gibt es ein ganz besonderes Stadtfest, bei dem die Welt innerhalb der Mauern für drei Tage zurück ins Mitelalter versetzt wird. Das heißt auch: Es sind keine Autos erlaubt und an den Toren wird Eintrittsgeld Wegezoll erhoben. Gibt dann auch Speisen nach historischen Rezepten und das ganze übliche Mittelalterfestprogramm. Ich war für diese kleine Zeitreise zwar leider nicht im richtigen Jahr unterwegs, aber ich werde wiederkommen...

Als Anerkennung für ihr Traditionsbewusstsein und die Lebensqualität haben die Nördlinger übrigens eine besondere Urkunde erhalten: Ihre Stadt ist Cittàslow. Diese aus Italien stammende Bewegung umfasst Kleinstädte, in denen sich ein gutes Leben ohne Lärm und Hektik führen lässt. Außerdem sollen sie besonders gastfreundlich und umweltbewusst sein sowie eine intakte Landschaft und gutes, natürliches Essen zu bieten haben.
In den eigenen Worten der Organisation: "Cities given life by people with respect for times past, rich in places to meet, in theatres, workshops, cafes, restaurants, spaces for imagination, with intact landscape and skilled craftsmen and craftswomen, where people can still appreciate the slow, wholesome passing of the seasons, with good eating and good health provided by natural foods, with respect for tradition."


Und da wir gerade noch bei respect for tradition sind: Jeden Abend von zehn bis Mitternacht geht der Türmer seiner urprünglich wichtigsten Aufgabe nach. Alle halbe Stunde ruft er "So, g'sell, so!" in die Richtungen aller fünf Stadttore. Früher gab es die selbe Antwort zurück, wenn alles in Ordnung war. Mittelalterliches Sicherheitssystem, das die Stadt wohl tatsächlich schon einmal vor einem Überfall gerettet hat.

Fazit: Nördlingen haut rein, würde glatt mal für ein Weilchen dort hinziehen. Zum Abschluss gibt's noch ein Modell der Stadt, lässt sich sogar deftig vergrößern. Also guckt mal schön.

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