Donnerstag, 22. Mai 2014

Die Sorben und ihre Osterreiter


Schon mal was vom Volk der Sorben gehört? Sie haben eine eigene Sprache, einen Haufen eigener Bräuche und leben schon seit Jahrhunderten hier im Osten Deutschlands. Trotzdem sind sie weiter außerhalb ihrer Heimat, der Lausitz, relativ unbekannt. Ich war im Frühling ein paar Mal dort und habe mir einige ihrer Traditionen angeschaut. Zum Anfang gibt's heute Gentlemen in Gehrock und Zylinder, die zu Ostern durch die Dörfer reiten und Lieder singen...

Herren mit Zylinder sind immer gut. Also hievte ich mich am Ostersonntag zur absoluten Unzeit von 7:00 Uhr schlaftrunken aufs Fahrrad und fuhr los. Richtung Norden, von einem Dorf zum anderen, vorbei an grünen Weiden und langsam aufblühenden Rapsfeldern.


Irgendwo dort hinter den Windrädern fängt die Lausitz an, die Heimat der Sorben. Wer die nun sind? Ein slavisches Volk, genauer gesagt, das kleinste und westlichste seiner Art. Sie leben schon ewig in diesem Gebiet: Der Oberlausitz in Ostsachsen und der Niederlausitz in Südbrandenburg. Eine Karte mit der groben Verbreitung findet sich hier. Ungefähr 60000 Sorben verteilen sich auf diese Fläche und leben dort mit den Deutschen zusammen. Aber wie gesagt, woanders kennt sie wohl irgendwie kaum jemand: Ich habe Leute aus Bayern, Baden und Tschechien gefragt und die hatten alle noch nie davon gehört.

Während ich so weiterradelte, wurde das Terrain immer sanfter. Vier Stunden und einen Russenbunker später gab es dann den ersten Hinweis, dass ich im Siedlungsgebiet der Sorben angekommen war: Alle Straßenschilder führten nun neben der deutschen Ortsbezeichnung noch eine weitere, die sorbische.


Oder genauer gesagt, die obersobische. Eigentlich sind es gleich zwei Sprachen: In der sächsischen Oberlausitz wird obersorbisch gesprochen, in der brandenburgischen Niederlausitz gibt es entsprechend das Niedersorbische. Und dann hat's natürlich noch eine ganze Reihe an Dialekten. Für mich sehen alle Varianten mit ihren Ł, š und so weiter letztendlich nur genauso verwirrend aus wie tschechisch und polnisch, mit denen die Sprachen auch nahe verwandt sind. Übrigens spricht längst nicht mehr jeder Sorbe auch tatsächlich eine dieser Sprachen aktiv, sondern nur schätzungsweise ein Drittel von ihnen. Ist regional sehr unterschiedlich.

Was außerdem auffällt, sind die ganzen Bildstöcke in den Vorgärten und am Straßenrand: Kleine Denkmäler in der Form von Säulen, Wegkreuzen oder kleinen Kapellen, die typisch für stark katholisch geprägte Gegenden in Europa sind. In dem sonst vorwiegend atheistischen Ostdeutschland etwas Besonderes.


Auf dem Wegkreuz links steht in goldenen Lettern der Spruch "Budź chwaleny Jězus Chrystus", zu deutsch: "Gelobt sei Jesus Christus". In den umliegenden katholischen Dörfern begrüßt man sich auch durchaus noch mit diesen Worten. Hier im Südwesten der Lausitz ist fast jeder Katholik und spricht im Alltag sorbisch, auch die Kinder wachsen noch mit der Sprache auf.

Äh, ja. Warum war ich gleich noch hier?


Ah, richtig. Wird Zeit, zu erzählen, was es mit diesen Reitern eigentlich auf sich hat.
In den Dörfern dieser Gegend ist es seit ein paar hundert Jahren Tradition, dass zum Ostersonntag die Osterbotschaft (also die Auferstehung Jesu Christi) durch einen Prozessionszug von einer Kirchgemeinde in die benachbarte getragen wird. Und diese Prozessionen bestehen also aus berittenen katholischen Männern, welche die Botschaft in jedem besuchten Ort in Form von traditionellen kirchlichen Liedern verkünden. Wann eigentlich warum damit angefangen wurde, weiß keiner mehr so recht... ist ja auch egal. Der Ritt dauert ungefähr zwei bis drei Stunden, am Ankunftsort wird ebenso lange Pause gemacht und anschließend geht es zurück in den Heimatort.

Ich bin weiter bis in ein kleines Dorf namens Baćoń gefahren, zu deutsch Storcha, wo eine der insgesamt neun Prozessionen starten sollte. Es war kurz vor Mittag, als ich dort war. So nach und nach trudelten die Reiter mit ihren aufwendig geschmückten und gestriegelten Pferden ein und versammelten sich an der Kirche. Alles Männer, und zwar in allen Altersgruppen vom Jugendlichen bis zum Großvater. Und nicht nur sie, sondern auch noch eine ganze Menge Schaulustiger aus dem Umland warteten hier, bis es losging. Schließlich zeigte sich auch der Pfarrer mit seinen Ministranten, um die Reiter zu segnen. Muss sich ein Bisschen vorgekommen sein wie im Zoo, bei den ganzen Leuten, die ihn fotografieren wollten. "Wann krieg ich denn schon mal 'nen katholischen Priester zu sehen?" meinte eine Frau aus dem Erzgebirge. Aber okay, ich war ja auch nicht besser.
Nachdem sich die Reiter paarweise zusammengefunden und um die Kirche verteilt hatten, ging es los. Zu Beginn der Prozession wird dreimal um die Kirche des Heimatortes geritten. Warum drei Mal? Jeweils einmal für den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Meint zumindest Opa.

Das führende Reiterpaar, im Hintergrund Grabinschriften auf Sorbisch.
Die großen roten Banner stehen das Jahr über in der Kirche, nur zum Osterreiten werden sie hervorgeholt und von den ersten beiden Reitern des Prozessionszuges getragen. Bestimmt gar nicht mal so leicht, mit den Dingern die Balance zu halten und gleichzeitig das Pferd zu führen. Es folgt ein Reiter mit der Statue des gekreuzigten und ein weiterer mit der Statue des auferstandenen Jesus. Sieht man auch gut im Startbild ganz oben. Dahinter folgen dann noch mehrere Dutzend weitere Reiterpaare, wie viele eben gerade verfügbar sind und mitmachen wollen, eine feste Anzahl gibt es da nicht.
Und während sie so um die Kirche reiten, singen sie kirchliche Lieder – auf sorbisch wohlgemerkt. Bis auf "Hallelujah", "Maria" und "Jesus" versteht der durchschnittliche Deutsche hier nichts. Einige haben noch ein Gesangsbuch oder einen Zettel mit dem Text dabei. Ursprünglich wurde der Brauch nur von katholischen Sorben praktiziert, inzwischen nehmen aber auch ein paar Protestanten und deutschsprachig Aufgewachsene daran teil. Zumindest die können ein Textblatt sicher gut gebrauchen. Nachdem die drei Runden um die Kirche erledigt sind, reiten die Mannen durch das Tor auf die Hauptstraße des kleinen Ortes und dann schließlich raus in die schöne lausitzer Landschaft.


Und das ist besagte Hauptstraße. Niedlich, nicht wahr? Sehr viel mehr Straßen hat das kleine Dorf genau genommen auch nicht. Überhaupt sind die Ortschaften in der Lausitz ziemlich gemütlich. In meiner Gegend ziehen sich die Dörfer teilweise über mehrere Kilometer linear an einer Straße entlang und die Grundtücke sind gefühlt auch eher planlos und ohne viel Sinn für Ästhetik in die Landschaft geworfen. Derweil sind die Dörfer in der Oberlausitz entweder recht überschaubar oder aber sind rund um einen zentralen Platz in der Mitte gebaut. Zumindest die, die ich gesehen habe. Sehr lobenswert.

Ohne Bullen geht hier gar nichts.
Ja, die Polizei ist auch mit von der Partie. Es ist immer noch Deutschland hier, und da muss alles seine schöne Ordnung haben und abgesichert sein. Macht ja auch nichts. Hinter der Polizei fahre ich, denn wenn man schon mal hier ist, kann man den Reitern auf ihrem Weg zur Nachbargemeinde ja auch folgen. Bis auf einen Radlerkollegen und eine Frau mit Tüte war ich aber irgendwie der Einzige, der so dachte; das restliche Volk gab sich mit dem Rumstehen am Straßenrand zufrieden. Nun ja, immerhin ist die Aussicht dort sicher schön und es lassen sich gute Fotos machen, ich dagegen sah derweil die ganze Zeit nur Pferdehintern.

Insgesamt waren es 82 Reiter, zählten zumindest die Leute am Straßenrand.
Wie man sieht, ließ sich die Polizei problemlos überholen. Solange man nicht weiter nach vorne fährt und die Pferde scheu macht, ist wohl alles okay. So kullerte ich im Schritttempo hinterher, von einem kleinen Dorf zum nächsten. Der Radlerkollege, ein älterer Herr, hatte derweil noch ein paar nette Details zur Tradition zu erzählen. So zum Beispiel, dass die Reiter im Ankunftsort erstmal reichlich bewirtet werden – inklusive Alkohol. So soll es vorkommen, dass manch ein Reiter auf dem Rückweg nicht mehr besonders geradlinig unterwegs sei und wohl auch nicht mehr allzu sicher im Sattel säße. Und der eine oder andere würde wohl nach einer Weile auch ziemlich heiser klingen, aber das ist bei der ganzen Singerei auch nicht weiter verwunderlich. Gesungen wird übrigens immer, wenn auf dem Weg gerade durch ein Dorf geritten wird, außerhalb wird die Stimme geschont.
An einer 180°-Kurve witterte ich die Gelegenheit, die Zylindermänner endlich mal wieder irgendwie von vorne zu knipsen. Schnell das Fahrrad in die Ecke geflackt und über die Wiese gerannt. Auf der anderen Seite lag schon jemand mit einem fetten Teleobjektiv bewaffnet im Schützen- bzw. Straßengraben und lauerte auf das perfekte Motiv. Im Gegensatz zu mir konnte der hier wohl richtig professionelle Fotos schießen. Dafür hatte ich insgesamt viel mehr Motive. Hurra.

Natürlich war die Sonne genau in dem Moment weg. Macht aber überhaupt nix.
Nach ungefähr zwei Stunden ritt die Brigade schileßlich in Radwor beziehungsweise Radibor, dem Zielort, ein. Auch hier galt wieder: Drei mal um die Kirche reiten mit Gesang, dabei vor Allem auch um den Friedhof, um den Verstorbenen die Osterbotschaft zu überbringen. Zum Abschluss wurden dann schließlich die Zylinder abgesetzt, um ein Gebet zu sprechen. Auf sorbisch, versteht sich, deswegen kann ich auch nur raten, was genau der Inhalt war. Zumindest das "Amen" habe ich verstanden. Anschließend ging es dann in die wohlverdiente Pause.


Die Pferde für die Prozession herzurichten, muss auch ein gutes Weilchen gedauert haben. Zumindest die vielen kleinen Zöpfe, die manche ihren Pferden in die Mähne geflochten hatten, sehen doch sehr zeitintensiv aus. Ansonsten waren viele Pferde mit Blumen bestückt, hatten ein Kreuz um den Hals hängen oder trugen ein aufwendig verziertes Geschirr. Das Pferd im Bild trägt ein Band in den Farben der sorbischen Flagge: Blau, rot, weiß. Am Schweif trägt jedes Pferd, wie man weiter oben schon gesehen hat, ein in der Regel weißes Band.

Obwohl die Pause erst angefangen hatte, waren in den Straßen Radibors nach kurzer Zeit schon wieder einige Reiter unterwegs... allerdings nicht die, denen ich die ganze Zeit gefolgt war. Normalerweise läuft das so, dass es Prozessionspaare gibt – also immer zwei Orte, die sich auf unterschiedlichen Routen gegenseitig besuchen und dann nach der Pause wieder heimreiten. Radibor bildet aber eine Ausnahme, es hat zwei Kirchen und bekommt Besuch von zwei Prozessionen. Vor der aus dem kleinen Dorf Storcha kommt immer noch eine aus Budyšin bzw. Bautzen, der inoffiziellen Hauptstadt der Sorben. Eben diese Bautzner sammelten sich schon zum Rückritt, während die Reiter aus Storcha noch ihre Pause hielten. Ich habe mich wieder hinten drangehangen.
Diesmal hatten auch noch ein paar mehr Leute die selbe Idee und wir waren insgesamt so... um die zehn Radfahrer. Das schwankte ein Bisschen. Und einem straßenbegleitenden Radweg sei Dank gab es die Reiter auch mal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.


Unterwegs lauerten ein paar Leutchen am Straßenrand, um Wasser an die Reiter zu verteilen. Da die das eigentlich auch ganz gut gebrauchen konnten, hatten sie nicht viel dagegen. Nur der eine wollte lieber Bier. Das Trinken gestaltete sich dann allerdings nicht immer ganz leicht, insbesondere für die ersten paar Reiter, die ja noch mit ihren Bannern und Stäben unterwegs waren. Aber wenn man wollte ging das schon. Irgendwie.
Reiter unter erhöhtem Ethanoleinfluss konnte ich übrigens keine ausmachen. Keine Ahnung, ob die Geschichte vom Fahrrad-Opa nun stimmte oder nicht. Wie dem auch sei, die Reiter aus Bautzen werden sich das Betrunken sein ganz einfach nicht leisten können. Denn sie haben wohl das größte Publikum von allen: Bautzen ist nun mal eine Stadt und dementsprechend viele Leute waren auch dort, um die Reiter Willkommen zu heißen. Auf dem Weg hoch zur Kirche schauten überall neugierige Leute vom Straßenrand aus zu, andere lugten aus ihren Festern, wieder andere hatten oben von der Burg aus alles im Blick. Besonders der Platz vor der Kirche war gerammelt voll, da standen locker über tausend Leute. Und die Freude war groß, als die berittenen Superstars des Tages endlich um die Ecke spazierten.


Ihr kennt das Spiel: Drei mal singend um die Kirche...

Währenddessen fiel mir so auf, dass ich gerade um die 20 Kilometer durch vollkommen unbekanntes Gebiet geradelt war, ohne auch nur einmal aufs GPS gucken zu müssen. Schon praktisch, wenn man jemanden hat, der den Weg kennt.

Ein letztes Mal wurde ein Gebet gesprochen, dann ritten die Reiter dort hin zurück, von wo auch immer sie hergekommen waren. Und auch die ganzen Schaulustigen strömten nach Hause, es kam schließlich bald der Sandmann.


Ich bin dann noch ein bisschen in der Altstadt rumgegeistert. Die Menschenmassen waren ziemlich schnell wieder weg und es zog Ruhe ein. Nur die ganzen Pferdeäpfel erinnerten daran, was hier vor wenigen Minuten noch los war.
An sorbischer Schrift gab es hier übrigens vergleichsweise wenig zu sehen, die Stadt liegt am Rande der Lausitz und ist zu 90% von Deutschen bewohnt. Trotzdem gibt es hier einige kulturelle Einrichtungen der Sorben, wie zum Beispiel ein Theater und ein Museum. Dem Aufsteller vorm Museum führte einen recht passenden Slogan zur Osterreitertradition: "Zwischen Erbe und Event"... ja, das trifft's wohl ganz gut.

So langsam hab ich mich dann auf den Heimweg gemacht, bin nach einem Kilometer umgekehrt, um stattdessen in die richtige Richtung zu fahren und erhaschte zum Schluss noch einen guten Blick aufs Bautzner Burgviertel.


Und das wär's dann auch für Heute gewesen. Mehr aus der Lausitz gibt es später...


Reihe Frühling in der Lausitz
Teil 1: Die Sorben und ihre Osterreiter
Teil 2: Maibäume setzen und Hexen verbrennen
Teil 3: Hau den Maibaum wieder um

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