Mittwoch, 5. November 2014

Drachentöten auf Bayerisch

Heute: Ein riesiger Roboterdrache!

Furth im Wald, direkt hinter der böhmisch-bayerischen Grenze: Ein mächtiger Drache erhebt sich aus seinem Schlaf, um Tod und Verwüstung über die Menschheit zu bringen. Es braucht einen mutigen Recken, der willens ist, sich dem grauenvollen Untier entgegenzustellen! Das geschieht hier jedes Jahr, und zwar schon seit über fünf Jahrhunderten .

Wenn man sich in den Straßen der oberpfälzer Kleinstadt umsieht, fällt einem schnell auf, dass die Leute hier auf schuppige Ungetüme zu stehen scheinen. Überall an Fasaden, Mauern, Türen und Geländern, finden sich Abbildungen oder Figuren, die einen Drachen darstellen; oftmals zusammen mit seinem Drachentöter. Der ganzen Sache liegt eine Jahrhunderte alte Tradition zugrunde, auf die die Further mächig stolz sind. Genauer gesagt handelt es sich um ein Volksschauspiel - und zwar sogar um das wahrscheinlich älteste Deutschlands - welches jedes Jahr in der ersten Augusthälfte tausende Besucher aus dem Umland anzieht und hier die größte Attraktion ist. Kein Wunder also, dass der Ort so reich mit Drachen geschmückt ist und auch ein Schild an der Bundesstraße auf die Drachenstichfestspiele hinweist.




Herzstück dieser Festspiele ist ein Theaterstück, das zur Zeit der Hussitenkriege spielt und im Kampf gegen den Drachen endet. Die Darsteller sind historisch eingekleidet und die Pferde und Requisiten opulent geschmückt. Aber was ist mit dem Drachen? Ausgestorbene Fabelwesen, die es zu töten gilt (wie zum Beispiel Hexen), näht man sich ja in der Regel einfach aus irgendwelchen Stoffresten zusammen... aber halt! Nicht hier in Furth. Stoffungetüme sind für Luschen, hier musste etwas richtig imposantes her. Also ließ man sich für über 2 Millionen Euro einen realistischen Roboterdrachen in Lebensgröße zusammenzimmern. Lebensgröße heißt hier: Deutlich größer als ein Elefant. Das hier ist der größte vierbeinige Schreitroboter der Welt™, um noch den obligatorischen Superlativ einzustreuen.


Und neeein, mit der Größe ist es nicht getan. Der Tradinno, wie er getauft wurde, verfügt über Mimik, blinzelt sogar und kann - wie es sich gehört - Feuer speien. Wahlweise aus den Nüstern oder dem Rachen. Und ich kann euch versichern: Es wird richtig warm, wenn das Untier erstmal seinen Feueratem loslässt, da kann man auch mehrere Meter entfernt von ihm stehen.

Normalerweise wird er in einem eigens ihm gewidmeten Lagerhaus, der sogenannten "Drachenhöhle" aufbewahrt, im August wird er dann für die Theateraufführungen hervorgeholt. Worum genau es darin geht? Hier mal die Kurzfassung:  
Im August 1431 hat sich in Furth im Wald ein Heer zum Kreuzzug gegen die Böhmen versammelt, die den Reformator Jan Hus verehren. Aber jeder Tropfen Blut, der in den Boden sickert, bringt den uralten Drachen, der einst Beschützer der Menschheit war und durch ihre Kriegslust böse wurde, zurück ins Leben. Nur eine reine Seele, die noch nie einen Mord begangen hat, kann ihn besiegen...

All das wird im wunderbaren oberpfälzer Dialekt und mit ganz viel Spontanapplaus im Freien auf dem Stadtplatz aufgeführt. Das Stück dauert zweieinhalb Stunden, beginnt in der Abendsonne und endet mit dem finalen Kampf nach Einbruch der Nacht. So kommt das Feuer optisch und thermisch gleich umso mehr zur Geltung. Aber auch vor dem Kampf gab es einiges zu sehen. Ein persönliches Highlight war der argumenative Showdown zwischen einem Hussiten und dem Kardinal Cesarini während sie die Burgmauer emporklettern, jeder auf seine Weise.
Alles in Allem gar nicht mal so schlecht. Einziger großer Kritikpunkt: Fotograknipsen ist nicht erlaubt. Musste ich halt in den Stealth-Modus wechseln und schnell sein...


Na ja, ich hab's wenigstens versucht. Bühnenbild und so. Es gab einen kurzen Regenschauer und die Tribünen sind nicht überdacht, aber man konnte sich im Vorfeld einen Regenponcho holen. Ich hatte zum Glück schon einen, als Teil meiner Radelausrüstung.
Beim Feuerspeien hab ich's auch nochmal unauffällig mit Fotografieren versucht, aber, äh...


Hilfe
Leiert halt mal euer Vorstellungsvermögen an.
Wie auch immer, nachdem der Drache dann erledigt ist, darf das gemeine Volk zum Star des Abends in die Arena strömen und endlich Fotos von ihm schießen - aber auch von den menschlichen Darstellern.





Mit den Drachenbändigern konnte man sich auch unterhalten: Der sympathische Herr da links mit dem Kasten steuert den Tradinno. Oder besser gesagt: Einen Teil von ihm. Ganze vier Leute und gutes Teamwork sind nötig, um das Untier zu bewegen. Einer ist fürs Feuer zuständig, ein anderer für die Mimik... ach, und und dann gibt es noch einen fünften, der den Wagen steuert. Der gute Schuppenkerl kann zwar laufen, aber ist dann eben doch nicht allzuschnell zu Fuß. Also wird er ganz bequem gefahren, wenn es zurück in seine Drachenhöhle gehen soll. Begleitet von "Time to Say Good Bye" und ganz vielen Abschiedstränen...
Gute Nacht, Tradinno!




Haaalt, Stop. Das war's noch nicht. Ich sprach von Festspielen: Die Theateraufführungen sind zwar das Herzstück, aber eben auch noch längst nicht alles. Was wäre Feste feiern in Bayern ohne einen ordnungsgemäßen Jahrmarkt mit Kettenkarussellen, Autoscootern, Schießbuden und Lebekuchenherzen? Und das wichtigste: Eine große Partyhalle mit Schlagern und ganz viel Bier!




Hm... Nee, das reicht noch nicht. Wie wäre es denn bei der ganzen traditionsreichen Geschichte noch mit einem Mittelalterspektakel? Ganz viele Zelte und Leute im Cosplay in mittelalterlicher Gewandung, die sich sogar original mittelalterlich (bzw. was auch immer sie dafür halten) unterhalten. Jawoll, das mag ich.






 .
Und zu guter Letzt ein Scherenschleifer. Scherenschleifer sind nämlich toll. Also gibt's zum Abschluss auch die Scherenschleiferweise.


(Alternativ diese Version zwar mit schlechterer Soundqualität, dafür umso mitreißender.)

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Gib deinen Senf dazu – auch ohne einen Account.