Freitag, 20. Juni 2014

Maibäume setzen und Hexen verbrennen


Und weiter geht's mit den sorbischen Bräuchen! Am 30. April wird in der Lausitz der Wonnemonat mit Maibäumen und Maifeuern begrüßt. Beide Bräuche haben diesmal keinen kirchlichen Hintergrund und sind auch in anderen Gegenden Deutschlands und Europas verbreitet – allerdings sind die Maibäume hier besonders hoch und auf den großen Reisighaufen wird hier und da auch mal eine Hexe verbrannt...

Also bin ich zehn Tage nach den Osterreiterprozessionen ein zweites Mal in die Lausitz geradelt. Einfach auf gut Glück Richtung Norden... diesmal gab es keinen bestimmten Zielpunkt, denn der ganze Spaß findet dort in jedem Dorf statt. Und wenn es so langsam losgeht, bekommt man das schon mit. Das Aufstellen der Maibäume beginnt abends nach der Arbeit, die Maifeuer werden erst nach Sonnenuntergang entzündet... bis dahin blieb noch genug Zeit, die Gegend ein wenig in Ruhe zu erkunden. Deswegen gibt's jetzt erstmal noch eine kleine Hand voll Eindrücke:

Bockwindmühle bei Chasow (Quoos)
Nur ein Fernseher im Wald
Sankt-Katharinen-Kirche mit weißen Kreuzen in Ralbicy (Ralbitz)
Storch \o/
Wohnhaus mit Kapelle. Mein Gott, wie goldig.
Als sich dann so langsam der Abend näherte, hörte man es aus den Ortschaften schon fleißig hämmern und klopfen: Die Vorbereitungen zum Maibaumaufstellen hatten begonnen. Wo auch immer sich ein günstiger Ort im Dorf fand, lag ein langer, entrindeter Stamm auf seinen Handwerkerböcken und wartete darauf, mitsamt seinem Schmuck in die Senkrechte gebracht zu werden. Das konnte auf einer Wiese, dem Marktplatz oder auch vor der Feuerwehr sein – oftmals sind es direkt die Feuerwehrmänner, die sich um die Tradition des Maibaumaufstellens kümmern.

Eine Tradition, die es neben Deutschland vor allem noch in Österreich, Skandinavien und auf den britischen Inseln gibt, also im gesamten germanischen Europa. Das Aussehen der Maibäume ist dabei genauso vielfältig wie die Bräuche, die sich um sie ranken; überall ist das ein bisschen anders, teilweise gibt es sogar zwischen benachbarten Orten Unterschiede. Meistens werden sie am ersten Mai oder, wie hier in der Oberlausitz, schon am 30. April aufgestellt. Wann, wo und warum genau mit der ganzen Sache angefangen wurde, weiß mal wieder keiner so richtig... Sicher ist jedenfalls, dass es die Dinger schon im Mittelalter gab und sie ein Zeichen für das Erwachen der Natur, den Beginn der fruchtbaren Jahreszeit sind.

Während die Leute in manchen Orten noch mitten in den Vorbereitungen steckten, waren sie woanders bereits mit dem Aufstellen beschäftigt:


Hier auf der Dorfaue von Keula war es schon so weit, ein großer Maibaum mit Fichte und sorbischer Flagge wurde langsam aber sicher nach oben gestemmt. Nein, es gibt hier keinen Kran oder ähnliche Spielereien, die ganze Aktion wird noch traditionell mit Muskelkraft und langen Stangen durchgezogen. Das dauert natürlich seine Zeit und braucht viel Ausdauer und vor allem Koordination. Schließlich kommt es nicht so gut, wenn das wuchtige Ding dann auf der anderen Seite wieder umkippt.
Die ganze Angelegenheit ist mal wieder reine Männersache: Um die 30 Kerle waren schwer mit dem ganzen Holz beschäftigt. Das Publikum – welches gehörig Abstand hielt – bestand derweil nur aus Frauen, Kindern und älteren Herrschaften. Na ja, und mir. Ein Mädchen kam angelaufen und fragte verwundert, wo ich eigentlich herkomme; vielleicht fand sie es komisch, dass ich nur Rumstand und knipste anstatt mitzumachen. Aber wahrscheinlich war ich ganz einfach das einzige unbekannte Gesicht.



Eine reichliche halbe Stunde später stand er dann wie 'ne Eins.
Na ja, so halbwegs. Jetzt noch schön fest im Boden verankert, eine Girlande aus Fichtengrün um den Stamm gewickelt, richtig gerade gerückt und fertig.

So ein paar Herrschaften auf einer Bank fragte ich, wie hoch der Maibaum denn eigentlich sei.
"Hm, vielleicht zwanzig Meter?"
"Musst du die Männer mal fragen..."
"Also wenn du jemanden fragst, sind's dreißig."

Zum Abschluss versammelten sich die Recken noch im Chor und sangen, um Gott zu danken und den Mai zu begrüßen.

Gut gemacht, das wäre erledigt. Na dann, auf zur Hexenverbrennung! Wieder aufs Fahrrad gestiegen, bis zur Dämmerung dauerte es schließlich noch ein Weilchen und irgendso ein verdächtiger Reisighaufen würde sich unterwegs schon finden.
Und es fand sich einer. Als ich in den Ort Schwarzkollm (Čorny Chołmc) einradelte, gab es schon von weitem Musik zu hören: Eine Wiesenfläche war für das Event reserviert und mit einem Imbissstand, Bänken, vielen Leuten sowie dem berüchtigten Hexenhaufen versehen. Es trudelten immer mehr Schaulustige ein, denn die Sonne war inzwischen am untergehen und somit war es bald Zeit für das Highlight des Abends. Aber natürlich lässt sich so eine Hexenverbrennung nur durchführen, wenn auch eine Hexe vorhanden ist. Also zog ein Spielmannszug los, gefolgt von der mit Fackeln und Lampions bewaffneten Dorfbevölkerung, um die Übeltäterin zur Hinrichtung abzuholen. Man marschierte trommelnd und trompetend zur Ortsmitte, wo die Hexe im Gemeindezentrum gefangen gehalten wurde. Von da aus wurde sie dann feierlich zum Scheiterhaufen getragen. Aber hey, wir sind hier keine Barbaren! Keine Exekution ohne eine ordnungsgemäße Gerichtsverhandlung.

Die Richterin und ihre Angeklagte
Wenn man keine echte Hexe da hat (die sind in der Gegend wohl ausgestorben), muss man sich eben selbst eine bauen. Das übernimmt die Dorfjugend, die jedes Jahr aus Stroh, alter Kleidung und einem Holzkreuz eine Neue bastelt.

Hier Stand sie also am Abend der Walpurgisnacht und musste sich von der Richterin anhören, welches Unheil sie im letzten Jahr in der Gemeinde so angerichtet hat: Wegen ihr ist eine Traditionsgaststätte geschlossen worden, die Raben vom Krabatdenkmal hatte sie gestohlen (dabei ist der ganze Ort voll von Rabenfiguren) und sie war in die Räumlichkeiten des Jugendklubs eingebrochen, um eine Musikanlage zu stehlen. Da kam noch einiges mehr zusammen. Aber auch die positiven Dinge des letzten Jahres, die die Hexe nicht verhindern konnte, ließ die Richterin Revue passieren. Zum Beispiel war das Storchennest wieder bewohnt und es hatte Fördermittel für verschiedene Bauvorhaben gegeben. Trotzdem: Die Hexe hatte genug üble Taten angerichtet – sogar bestechen wollte sie die Richterin – und dafür musste sie büßen.
Das Urteil: Tod auf dem Scheiterhaufen! Wer hätt's gedacht. Nun wurde sie also zur fröhlichen Abfackelung hoch auf den Haufen gestellt, die Kinder durften ihn anzünden. So verabschiedete man sich symbolisch von all den unschönen Dingen, die im letzten Jahr passiert waren.
Sicher, der Brauch mag seinen Ursprung in den echten Hexenverbrennungen haben (und manche Leute geben sich noch ganz empört über so viel Rückständigkeit), aber mit der Zeit hatte die ganze Sache mit sämtlichen Aberglauben nichts mehr zu tun. Inzwischen ist sie nichts weiter als ein kleines Volksfest.


Die Hexe fing schnell Feuer, Stroh und Lumpen verbrannten in Windeseile, nur das Kreuz war noch etwas länger zu sehen. Eine herrliche Wärme dort davor.

Nun denn, die Walpurgisnacht war angebrochen und der Akku der Kamera wollte nicht mehr, also ab nach Hause. Finster war's, dem Neumond sei Dank, aber überall in der Landschaft leuchteten die Maifeuer, sodass man die vielen kleinen Dörfer schon von Weitem ausmachen konnte. Ihr Rauch trug wahrscheinlich auch einiges zu dem ganzen Nebel bei.
Ab und zu führte der Weg wieder an einem Maibaum vorbei, einige wurden inzwischen bewacht. Nach altem Brauch des Maibaumstehlens kann der Baum in der Nacht nach dem Aufstellen nämlich von Leuten aus dem Nachbarort gefällt werden. Inwiefern das in der Praxis noch probiert wird, weiß ich nicht. Jedenfalls sitzen Jugend oder Feuerwehr des Dorfes oft noch die ganze Nacht an einem Tisch neben dem Baum und gießen sich ordentlich einen hinter die Binde.

So langsam aber sicher wurde es furchtbar kalt, aber es brannten ja noch überall die Feuerchen, an denen man sich wärmen konnte. An manchen wurde noch bis spät in die Nacht getanzt und der Gesang war bis weit draußen auf den Feldern zu hören. In den Büschen und Bäumen am Straßenrand zwitscherten laut die Nachtigallen und von irgendwo vernahm ich dieses sorbische Lied.

Bilder gibt es keine mehr. Stattdessen hier zum Abschluss noch etwas Musik, passend zum Thema.


Irgendwann bin ich dann auf eine Kirche für Reisende gestoßen, die auch nachts ihre Pforten geöffnet hatte. Sogar Kissen gab's. In diesem Sinne: Gute Nacht.


Reihe Frühling in der Lausitz
Teil 1: Die Sorben und ihre Osterreiter
Teil 2: Maibäume setzen und Hexen verbrennen
Teil 3: Hau den Maibaum wieder um

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