Mittwoch, 8. April 2015

Reisetagebuch Venedig


[07. bis 13. September 2014]
Venedig, die "Perle der Adria" mit ihren zauberhaften Kanälen wird auch ganz gern mal liebevoll "Königin der Touristenfallen" genannt. Ist ja auch nicht weiter verwunderlich: Die Stadt im Meer ist vollkommen einzigartig und weltberühmt, jeder will sie sehen. Pro Jahr wird sie von ganzen 30 Millionen Touristen heimgesucht, bei nicht einmal 60.000 Einwohnern. Der Platz ist also limitiert. Dementsprechend ist auch alles reichlich teuer, es lohnt sich halt.
Aber wenn man seine Ansprüche etwas runterschraubt und weiß, wo die Supermärkte sind, kommt man eigentlich ganz gut über die Runden.

Von oben sieht die Stadt irgendwie nach einem Fisch aus, oder? Das wurde auch im Logo der Fährgesellschaft verarbeit. Hier gibt's noch ein hübscheres Satellitenbild.

Sonntag, 07. September 2014
Aufstehen, die Sonne lacht! Letzte Nacht hatte ich mich etwas versteckt auf der Brücke nach Venedig schlafen gelegt. Nur noch zwei Kilometer und ich bin da.
Die asphaltierte Straße reicht nicht besonders weit: Wo auf der Karte die rote Linie im Nordwesten endet, liegt der Piazzale Roma, Endstation für alle Busse. In der Nähe befinden sich auch der Bahnhof und ein Parkhaus. Eine weitere Straße biegt vorher nach Süden ab und führt bis zum Kreuzfahrtterminal San Basilio, wo ich später immer das Fahrrad während meiner Erkundungstouren parke. Der ganze Rest ist Fußgängerzone.

Heute schleppe ich das Rad erstmal in die Stadt hinein, bis zur Accademia-Brücke. Von dort aus will ich mir dann nachmittags Venedigs historische Regatta, die regata storica anschauen. Irgendeiner schiebt immer spontan mit an, wenn es an die Treppenstufen der Brücken geht...
Bis es dann soweit ist, lasse ich das Rad für ein Weilchen stehen und sehe ich mich noch ein wenig im Stadtteil um.







Um 4 geht dann die Regatta los. Bootsrenen und historische Paraden. Details gibt's hier:
Blogpost: Venedigs historische Regatta


Nach Sonnenuntergang sitze/liege ich noch eine Weile auf der südlichen Promenade rum, in der Nähe wird gerade Livemusik gespielt.
Einer spricht mich im Vorbeigehen noch auf das vollbepackte Fahrrad an, ist hier nun mal ein seltsamer Anblick. Offiziell ist es wohl eigenlich auch gar nicht in der Innenstadt erlaubt, wie ich erfahre. Aber schieben müsste in Ordnung sein... Er gibt sich noch ganz begeistert, dass ich bis hierher geradelt bin und bis nach Sizilien möchte. Fragt, ob ich einen Blog habe oder twittere. Leider habe ich zu dem Zeitpunkt noch nix anzubieten.
Danach fahre ich erstmal zurück über die Brücke aus der Stadt, es gibt nämlich noch was zu tun.

Montag, 08. September 2014
Ich sitze in einem McDoof irgendeines Gewerbegebiets (ihr wisst schon, Strom und Internet) und schreibe meine Bachelorarbeit zu Ende. Bzw: Ich feile noch an Ausdruck, äußerer Form und Rechtschreibung, bis das Ganze druckreif ist. Zum Glück habe ich Leute zu Hause, die sich dann darum kümmern... Gezeltet wird versteckt hinter den Büschen in der Mitte eines Kreisverkehrs.

Dienstag, 09. September 2014
Arbeit ist getan. Zurück nach Venedig!
Heute steht Poveglia auf dem Plan, eine verlassene Insel in der Venezianischen Lagune. Auf den ersten Blick gibt es dort nur ein verfallendes Sanatorium und wuchernde Natur, deswegen besteht auch keine Fährverbindung. Normalerweise bekommt man die Insel als Tourist also nicht zu sehen, was sie natürlich umso interessanter macht.
Zum Glück habe ich einen Günter kennengelernt, der seit Jahren in Venedig wohnt und gern einmal jemanden nach Poveglia fährt. Nach ein wenig telefonieren machen wir uns ein Treffen am späten Nachmittag aus.

In der Nähe des Piazzale Roma hält noch ein junges Paar mit seinem Auto neben mir an und fragt sichtlich verwirrt, wo es denn hier zum Markusplatz geht.
"Mit dem Auto kommt ihr dort aber nicht hin..."
"Echt jetzt? ... Bist du sicher?"
"Sehr sicher."

Was haben manche Leute nur für Grütze im Kopf? Ich dachte immer, Venedig ist weltbekannt als die Stadt, in der die Straßen einfach mal aus Wasser sind. Die Autos heißen hier Boote...

Hier haben wir so eine ominöse Waserstraße. Bevor es nach Poveglia geht, muss Günter erst einmal quer durch Venedig navigieren: Schön vorschriftsmäßig langsam und durch viele Einbahnstraßen.

Und ich kann euch sagen, Venedig vom Wasser aus zu sehen ist nochmal eine ganz eigene Erfahrung. Alles wirkt ganz anders und einige der Kanäle bekomt man als Fußgänger auch gar nicht zu Gesicht. Ich glaube, erst wenn man beide Sichtweisen durchhat - Gassenlabyrinth und Wasserlabyrinth - hat man eine richtige Vorstellung von dieser Stadt.


Protip: Auf einer Fahrt durch einen weniger breiten Kanal einfach mal hinlegen und nach oben in den Himmel schauen, die Fassaden an sich vorbeiziehen lassen. Ganz wunderbar.

Südlich der Stadt kann Günter auf dem Meer schließlich etwas mehr Gas geben. Nur Abkürzen ist im Moment nicht, da wir bei dem momentan sehr niedrigen Wasserstand an manchen Stellen auf Grund laufen könnten. Er hat ein kleines Gerät, das ihm das sagt.
Bis nach Sonnenuntergang zeigt er mir die Insel. Einen umfangreichen Einblick in dieses Fleckchen Erde mit seiner gruseligen Vergangenheit gibt es hier:
Blogpost: Poveglia - Die Geisterinsel


Abends zurück in Venedig unterhalten wir uns noch ein wenig in einer Weinbar. Wir kommen auf Slowenien zu sprechen und auch Günter meint, dass Ljubljana durchaus mal sehenswert sei. Werde also wohl doch mal drüben vorbeischauen...

Als ich abends wieder zum Fahrrad komme, ist alles noch da. Steht wohl wirklich gut hier beim Kreuzfahrtterminal. Ich setze mich für ein Weilchen unter einen von Venedigs wenigen Bäumen, etwas Zwieback knabbern.
"If you want to sleep, here is no good. It's going to rain today."
"...?"
Ich drehe mich um. Ein bunt gekleideter Vagabund mit langen Haaren und Gitarre steht da, zeigt mit dem Finger in die Wolken. Rino nennt er sich, kommt ursprünglich aus Kroatien und lebt schon eine ganze Weile auf der Straße. Für Venedig ist er Experte.
Da der Regen noch etwas auf sich warten lässt, setzen wir uns für ein Weilchen zusammen und er erzählt.


"Listen, Frendo!" Rino sagt mir, wo es gerade welche Sonderangebote gibt und dass ich einen Supermarkt namens Prix suchen soll, der wie's aussieht der billigste Laden der ganzen Stadt ist. Irgendwas mit 100m geradeaus und dann 200m nach links. Und ich soll nach fondamenta rossa fragen.
Er gibt mir auch noch Tips, wo man bei Regen halbwegs unbemerkt schlafen kann. In den Gassen liegt er nicht gern rum, schließlich will man die Anwohner nicht verärgern. Möglichst früh aufstehen ist daher auch ein Muss.
Und er erzählt von seinem Traum, einmal nach Amerika zu reisen und auf den Spuren Elvis Presleys zu wandeln. Von dem ist er Riesenfan, er spielt auch selbst immer Elvis-Songs. Er schnappt seine Gitarre und singt Blue Suede Shoes, kingt sogar ziemlich gut.
Schließlich trennen wir uns wieder. Rino will etwas weiter nördlich schlafen, ich bleibe hier. Er behält übrigens recht: Die Nacht regnet es tatsächlich. Ziemlich heftig sogar. Ich flüchte in die nächste Wasserbusstation.

Mittwoch, 10. September 2014
Ich mache mich auf die Suche nach diesem ominösen Prix-Supermarkt und finde ihn auch. Anschließend schau ich noch, wo der lokale McDoof-Hotspot ist und natürlich wird weiter die Stadt erkundet. Eine meiner dicken Hecktaschen vom Fahrrad lässt sich als Rucksack umwandeln, so habe ich das Wichtigste (und Teuerste) immer bei mir.


Überall gibt es diese gelben Schilder, die den Weg zu den wichtigsten Knotenpunkten der Stadt weisen. Auf Werbung zum venezianischen Casino, das übrigens das älteste der Welt ist, stößt man auch.

Gondelstau: Maßarbeit ist nötig, um unter der Brücke durchzufahren, auf der ich hier gerade stehe. Denn der Wasserspiegel ist ziemlich hoch...

Zu hoch. Ich habe das erste der alljählich wiederkehrenden Winterhochwasser (genannt acqua alta) erwischt, bei dem Teile der Stadt überschwemmt werden. Dieses hier am Anfang der Hochwassersaison hält sich noch in Grenzen, aber für den tief gelegenen Markusplatz reicht's.
Blogpost: The Tide is High - Markusplatz unter Wasser





Zurück am Kreuzfahrtterminal. Diesmal ist kein Rino in Sicht, dafür sitzt ein junger Koreaner auf dem Sockel der Statue und spricht mich an.
Er sagt, ich soll ihn einfach Paul nennen, da man seinen richtigen Namen als gewöhnlicher Germane nur mit Knoten in der Zunge aussprechen kann. Es ist sein Traum, Europa ebenfalls mit dem Fahrrad zu erkunden. Zu Hause erklären sie ihn deshalb für verrückt. Deswegen ist er erstmal mit dem Zug unterwegs und reist von einer bedeutenden Stadt zur nächsten. Morgen soll's nach Wien weitergehen.
Wir unterhalten uns noch ein wenig über Südkorea: Seoul ist wohl wirklich die modernste Stadt der Welt, es gibt im gesamten Gebiet der Metropole flächendeckend kostenloses WLAN für alle. So
selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Ansonsten geht's noch um die Insel Jeju-Do und den lustigen Blutgruppen-Aberglauben der Ostasiaten.

Donnerstag, 11. September 2014
Irgendwo muss ich gestern auf dem Weg zum Schlafplatz meinen tollen Seppelhut aus dem Allgäu verloren haben. Ärgerlich. Da das Wetter nicht so besonders ist, sitze ich bloß im Hotspot rum.


Und hier werde ich gegen Abend schon wieder von einem anderen verrückten Reisenden angesprochen. Rafael aus Marseille trampt durch Europa und vertreibt sich am Laptop die Zeit, bis sein Kumpel Arnaud in Venedig eintrifft. Beide haben die selbe Route geplant, aber Arnaud reist mit dem Zug. Er hatte mich heut früh schon hier gesehen. Wir kommen ziemlich gut klar, aber nach kurzer Zeit verabschiede mich vorerst wieder, um einzukaufen bevor der Laden schließt und Paul am Bahnhof Tschüss zu sagen. Will aber in zwei Stunden wieder da sein.

Unterwegs im Schaufenster: Sieht unverschämt lecker aus und ist unverschämt teuer.

Leider habe ich die Langsamkeit der venezianischen Fußgängerzone unterschätzt, bin sowohl zu spät am Bahnhof als auch zurück am Hotspot. So eine Scheiße aber auch.
Na ja, kann man nix machen. Ich gehe noch ein wenig auf nächtliche Erkundungstour.




Freitag, 12. September 2014
Ich laufe den ganzen Tag neugierig in der Stadt rum, dementsprechend lang ist hier auch der Bilderspam. Heute geht es etwas weiter nach Osten. Der Tag ist regnerisch aber was soll's, mit Schirm geht das schon. (Der, den ich in den italienischen Alpen gefunden habe.) Besser als Radeln im Regen.

Als ich diese seltsame "Höhle" hier so anschaue, bedeutet mir eine alte Dame, ihr zu folgen. Ich ducke mich und tue dergleichen...

Es geht links um die Ecke und am Ende des Durchganges befindet sich ein kleiner, quadratischer Innenhof der nur so erreicht werden kann. Diese Stadt steckt eben voller Geheimnisse. Und die gute Frau scheint stolz drauf zu sein.





Unterwegs höre ich noch einen vertrauten Dialekt und treffe auf einen Dresdner mit nasser Hose. 
"Da isser grad reingeflogen", meint seine Frau und deutet auf einen Kanal. Die Kanten könen eben ausgesprochen glitschig sein.
Es geht wieder ins touristische Gebiet nahe des Markusplatzes, ein paar Kunstläden anschauen...




Die Ponte Sospiri, zu deutsch Seufzerbrücke. Sie verbindet das historische Gericht und Gefängnis, durchs Fenster konnten die Verurteilten noch seufzend einen letzten Blick auf die Stadt werfen.

Links: Hochwasserschutz vor der Haustür.


 In der Bausubstanz finden sich durchaus mal Muscheln.

Abends schaue ich nochmal im Hotspot vorbei, vielleicht ist Rafael ja wieder da. Und tatsächlich!
Sein Kumpel ist inzwischen auch angekommen. Wir tun uns zusammen.

Die beiden beim Abendessen auf einem der typischen Brunnen.

Rafael ist Kunststudent und ganz begeistert von den venezianischen Masken.

Und er freut sich, dass ich ein Stativ dabei habe.



Die Rialto-Brücke über den Canal Grande. Auf ihr gibt es kleine Geschäfte.

Ich führe die beiden Franzosen in die Nähe meines tollen Schlafplatzes und wir legen uns dernieder. Gute Nacht.

Wie die letzten Hobos.

Samstag, 13. September 2014
Die Nacht hat's wieder mit Regnen angefangen und wir sind unter ein Dach geflüchtet. Nur den ganzen Staub da hat leider keiner gesehen.


Arnaud rennt zur Architektur-Biennale, ich bleibe beim Langschläfer Rafael. Später gehen wir zum Prix und schauen uns online bei McDoof lustige Hitlervideos an.

Da ich meine eilig zuende geschriebene Bachelorarbeit noch daheim verteidigen muss (Vortrag und so), muss ich Ende des Monats leider nochmal zu Hause sein. Sobald das erledigt ist, geht's aber zurück. Das Rad lasse ich derweil bei Günter im Garten. Ich buche die Zugtickets online, für die Rückfahrt gibt es sogar einen billigen Fernbus nach Italien.
Die verbleibende Zeit bis will ich noch für einen Abstecher nach Slowenien nutzen, also mache ich mich abends wieder auf den Weg. Tschüss Venedig, ich komme später nochmal vorbei...


Ein Eis musste einfach mal sein. Das rechts ist der Prix, ziemlich unscheinbar.


Als ich nach Venedig gekommen bin, kannte ich hier niemanden und hatte keine Pläne, außer irgendwie eine Woche zu bleiben. Dann tauchten plötzlich überall nette und interessante Leute auf, damit hatte ich so nicht gerechnet.
Also: Ich mag zwar solo auf Reisen sein, aber einsam ist man dabei noch lange nicht.

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