Montag, 22. Juni 2015

Eine Partie Schach gefällig?


Wer im Fernsehen schon mal auf ein Schachturnier gestoßen ist, weiß: Sonderlich spannend und unterhaltsam ist's für den Zuschauer in aller Regel nicht. Männer, die auf ein Spielbrett starren, ganz scharf nachdenken und sich einmal die Minute kurz bewegen...
Aber halt! Es geht auch anders. Hier in Marostica wird alle zwei Jahre Lebendschach veranstaltet: Statt einfachen Figuren stehen Leute in mittelalterlicher Gewandung auf dem Marktplatz mit seinem riesigen Schachbrettmuster und dürfen die Züge aufführen. Dazu gibt es Paraden und ganz viel Trara: Schach kann eben auch ein buntes Spektakel sein.


Es war einmal im Italien* des 15. Jahrhunderts: Marosticas Burgherr, dessen mutmaßlich hübsche Tochter ausgesprochen begehrt war, hatte eine schwierige Entscheidung zu treffen. Gleich zwei Adlige hatten nämlich gleichzeitig um ihre Hand angehalten. Was normalerweise zu einem Blutbad hätte führen können, sollte diplomatisch gelöst werden.
Die Idee des Burgherren war ein Schachturnier, dessen Gewinner schließlich die holde Maid heiraten durfte. Und damit das Ganze auch standesgemäß spektakulär ausfällt, sollte es öffentlich und mit lebenden Figuren ausgetragen werden. Make chess, not war!

Weil die Veranstaltung sich großer Beliebtheit erfreute, wird Lebendschach seitdem alle zwei Jahre wieder aufgeführt: Immer am zweiten Septemberwochenende bei gerader Jahreszahl. Und wie gewohnt bekommt ihr jetzt in einer Flut an Fotos zu sehen, wie man sich die Sache vorzustellen hat.


Als ich ca. zwei Stunden vorm Start der Nachmittagsaufführung in Marostica eintrudelte, liefen dort schon so einige Darsteller in ihren Kostümen rum. Nicht nur die Schachfiguren dürfen sich historisch verkleiden, es gab auch noch Trommler, Burgfräulein, Mägde, Mönche und vieles mehr.



Heutzutage haben die Ritter Handys.

Die moderne Technik macht auch vorm Kartenverkauf nicht halt: Wer einen halbwegs guten Platz auf einer der Tribünen will,  kann sich rechtzeitig vorher im Internet genau aussuchen, wo er sitzen will.


Die Haupttribüne im Norden, von der aus man auf die Burg blickt und das Schachspiel aus der Sicht des Siegers verfolgt, war mir zu teuer und ich wollte sowieso lieber seitlich aufs "Schlachtfeld" blicken. Auf der östlichen Tribüne würde die Abendsonne blenden, also sollte es die westliche sein. Halbwegs mittig und ganz hinten, damit man mit seinem Geknipse niemandem auf den Senkel geht, auch mal aufstehen kann und überhaupt das ganze Spielfeld ins Bild bekommt.
Fotografieren und Filmen ist hier im Gegensatz zum Drachenstich übrigens ausdrücklich erlaubt.


Nach einer kurzen Einführung, die als einziger Teil der Veranstaltung auch eine englische Übersetzung spendiert bekam, ging es schließlich los. Das Schachspiel selbst macht nur einen relativ kleinen Teil des über zwei Stunden dauernden Spektakels aus; vorher gab es noch Paraden, Tänze und Fahnenschwinger.


Die Choreographien der Fahnenschwinger mochte ich am meisten, ist einfach schön anzusehen. Hat was von einem Kaleidoskop. Schön synchron und kreissymmetrisch werden die bunten Flaggen gewedelt, jongliert und sich gegenseitig im hohen Bogen zugeworfen... Leicht ist das ganz bestimmt nicht. Der Verein trainiert das ganze Jahr.

Schließlich ging das Schachspiel los. Die beiden Kontrahenten sitzen an einem Tisch mit Schachbrett in Normalgröße, während parallel die Züge laut bekanntgegeben werden, damit die lebenden Figuren sie ausführen können. Wird eine Figur geschlagen, findet eine Art kleiner Pseudokampf statt und sie wird vom Spielfeld geschickt.




Und dann tänzelte noch dieser Typ in schwarz durch die Gegend, um die würdevoll aufgeführte Tradition ein wenig ins Lächerliche zu ziehen. Er kletterte noch auf Laternen und neckte die Zuschauer in der ersten Reihe, bis schließlich die zwei Mönche kamen, um ihn zu verjagen.
Wenn jemand weiß, wie man solche Gestalten nennt, bitte einen Kommentar dalassen.

Nachdem schließlich die schwarze Mannschaft gewonnen hatte, wurde die Verteilung der Bräute dargestellt. Richtig, nicht nur eine. Die gute Burgdame von damals hatte nämlich noch eine Schwester, die dem Verlierer Zweitplatzierten spendiert wurde. So konnte der Burgherr Verbindungen mit gleich zwei einflussreichen Familien schließen.



Ein paar weitere Tänze und Flaggenchoreographien später gab es schließlich noch eine abschließende Parade, bei der viele der (inzwischen weniger gewordenen) Zuschauer sich einen Stehplatz mit besserer Sicht vor der ersten Reihe sicherten. Ich auch, Gruppenzwang.




Tja, und damit war die Veranstaltung pünktlich zum Sonnenuntergang zu Ende. Wer wollte, konnte jetzt noch selbst mal runter aufs Schachbrett, sich die Requisiten anschauen oder ein paar Fotos von oder mit den Darstellern schießen.




Als es schließlich dunkel geworden war, ging die zweite und letze Vorstellung des Tages los. Die Karten hierfür wären um einiges teurer gewesen. Ein Blick über die Absperrung lässt auch erahnen, warum:


Die Abendshow wird noch ordentlich mit Projektionen, Lichtern und Fackeln aufgehübscht, um es noch spektakulärer zu machen. Nett, aber ich war mit der Tageslichtversion eigentlich ganz zufrieden.

Nun war es Zeit, sich von Marostica zu verabschieden und weiterzuziehen. Irgendeinen Schlafplatz im Grünen suchen... Im Eingangsbereich gab es noch so zwei, drei Leute, die ihre Eintrittskarten loswerden wollten, aber einmal reicht. Und an den Wachen muss ich mich nun auch nicht unbedingt vorbeischmuggeln, die sind bewaffnet!



So, und falls jetzt jemand Lust auf 'ne Runde Schach bekommen hat...

8 ║♜   ♞   ♝   ♛   ♚   ♝   ♞   ♜
7 ║♟   ♟   ♟   ♟   ♟   ♟   ♟   ♟
6 ║…   …   …   …   …   …   …   …
5 ║…   …   …   …   …   …   …   …
4 ║…   …   …   …   …   …   …   …
3 ║…   …   …   …   …   …   …   …
2 ║♙   ♙   ♙   ♙   ♙   ♙   ♙   ♙
1 ║♖   ♘   ♗   ♕   ♔   ♗   ♘   ♖
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* Eigentlich war das damals die Republik Venedig,wer es ganz genau haben will.

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