Dienstag, 10. Mai 2016


Da hinten schlummert er, der Vesuv, als wäre nichts gewesen. Damals, vor fast 2000 Jahren, tilgte er Pompeji und die umliegenden Städte in einem unvorstellbaren Inferno von der Landkarte und konservierte sie doch gleichzeitig für die Nachwelt. Heute bieten die wieder ausgegrabenen Ruinen einen einmaligen Einblick in das Leben der antiken Römer, die uns in vielen Dingen doch ähnlicher waren, als wir denken...

Als ich so durch die Straßen der Ruinenstadt Pompeji laufe, stelle ich mir vor, wie es hier wohl ganz früher einmal ausgesehen haben muss. In Gedanken ziehe ich links und rechts die Fassaden wieder hoch, streiche sie an und setze Türen ein. Dazu noch einen Römer in seiner Tunika vorm inneren Auge, wie er gerade durch die Gasse gelaufen kommt... Inzwischen sind es nur noch Leute mit Jeans, Handys und Fotoapparaten.



Keuzung mit antiken "Zebrastreifen"

Die Menschen, die hier vor 2000 Jahren gelebt haben... Wie war wohl ihr Leben, was hatten sie für Sorgen und Träume? Waren sie wirklich so sehr viel anders als wir?

Es gibt da ein paar archäologische Funde, die einen ziemlich überraschenden Einblick in den Alltag der Pompejianer geben und das Leben dieser Leute so lebendig bezeugen, wie kaum etwas anderes: Graffitis.
Ja, auch damals schon haben die Leute aus Langeweile fröhlich Wände verunstaltet. Mit Bildern und Gedichten, aber auch mit dummen Sprüchen und wüsten Beleidigungen in haarsträubender Rechtschreibung. Ganz unzensiert und nie zur jahrtausendelangen Überlieferung vorgesehen ritzten diese Menschen in die Wand, welcher Blödsinn ihnen auch immer gerade durch den Kopf ging. Natürlich alles in Großbuchstaben, denn kleine gab es damals noch nicht. Genauso wenig wie die Buchstaben J, U oder W.
Hier mal ein paar Beispiele (Übersetzungen aus diesem Buch):

ANTEROS HOC SCRIPSIT
Anteros hat dies geschrieben.

AMO TE FACILIS  FAC MI COPIA
Ich liebe dich, Facilis. Gib mir eine Chance!

CASSIVS CERRINIO SVIS SALVTEM
Cassius grüßt Cerrinius und seine Leute.
 
REGVLVS FELLAT
Regulus lutscht Schwänze.
...
Tut mir Leid, aber ich kann nichts dafür. Auch der letzte Satz ist original überliefert aus der Antike und korrekt übersetzt. Alles, was ich hier so zitiere, haben Archäologen tatsächlich in Pompeji gefunden und archiviert.
Bei all den Dichtern und Geschichtsschreibern der Antike vergisst man oft die Leute außerhalb dieser kulturellen Elite, die natürlich weit in der Überzahl waren. So sind tatsächlich hunderte der gefundenen Graffitis von eindeutig vulgärem oder öbszönem Inhalt. Da wurde nicht selten in die Wand geritzt, wer hier gerade mit wem ein Stelldichein hatte, teilweise auch genau welche Praktiken und gegebenenfalls wieviel Geld es gekostet hat. Oder es wurden ziemlich derbe Beleidigungen dagelassen.
Auch wenn die Römer sich damals ganz anders ausdrückten, essentiell ist es doch irgendwie dasselbe wie das, was man heute an Schmierereien an Mauern oder in Bahnhofstoiletten findet. So sehr hat sich die Menschheit wohl doch nicht geändert.
In einer der öffentlichen Toiletten hat ein Römer zum Beispiel das folgende bedeutsame Ereignis für die Nachwelt festgehalten:
SECVNDVUS HIC CACAT
Secundus scheißt hier.

Jetzt wissen wir's. Obwohl, vielleicht ging es gar nicht so sehr um den Vorgang an sich, denn es ist auch möglich, dass der gute Secundus damit einfach seinen Stammplatz markiert hat. Bei den alten Römern waren die öffentlichen Toiletten, die Latrinen, nämlich ganz anders aufgebaut als bei uns: Es waren praktisch Gemeinschaftsräume, in denen man auf einer Art langen Bank mit Kloschüsseln gemütlich nebeneinander saß (Illustration hier), sich über die Götter und die Welt unterhielt oder eben die Wand hinter sich verzierte. Das große Geschäft als Gemeinschaftserlebnis - manches war dann eben doch ganz anders.

Was gab es noch so an öffentlichen Einrichtungen? Da hätten wir zum Beispiel die Thermen als antike Wellnessbereiche. Mit Fächern, in denen die Besucher ihre Kleidung aufbewahrten und Wasserbecken, die mühsam von Sklaven beheizt werden mussten. Alles dekoriert mit Wandmalereien, Statuen und Mosaiken.




 Deckenverzierung

Mal wieder ein Graffiti, es müssen nicht immer Texte sein.


Auch hier stelle ich mir wieder vor, wie es früher wohl ausgesehen haben muss, als vom Verfall noch keine Spur war. Ich blende die Leute um mich herum aus, fülle gedanklich die Wasserbecken und setze den einen oder anderen Römer hinein...

Dabei frage ich mich: Warum ist eigentlich noch nie jemand auf die Idee gekommen, eine antike Römerstadt in Ausschnitten originalgetreu nachzubauen und das Leben nachzustellen? Man könnte Gelage veranstalten, bei denen man zu Tisch liegt und Tunikas zum Ausleihen bereitstellen. Und noch viel mehr. Wäre doch sicher eine Riesenattraktion für Touristen.
Womöglich würde sich sogar der eine oder andere Exzentriker finden, der so ein Haus bezieht und ein paar Tage in der Woche im Stile der alten Römer lebt... vielleicht abgesehen vom Besuch der Gladiatorenshow im Amphitheater.

PANEM ET CIRCENSES - "Brot und Spiele" hieß das Motto und die Strategie, mit der die Bevölkerung im alten Rom bei Laune gehalten wurde. Spiele im Sinne von: Kampf und Action in der Arena. Was heute Kinos und Fußballstadien (oder ihr bequemster Ersatz, der Fernseher) übernehmen, geschah damals hier:


Kämpfe bis zum Tod zwischen Gladiatoren, zwischen wilden Tieren oder auch zwischen Mensch und Tier. Zum Glück haben wir sowas inzwischen hinter uns gelassen...
Wobei, halt, stimmt gar nicht. In Spanien gibt es schließlich nach wie vor die Stierkampfarenen.

Auch ansonsten haben wir heute eigentlich noch alles, was die alten Römer damals ins Theater oder ins Kolosseum trieb. Nur eben in modifizierter oder ausgelagerter Form. Kontrahenten anfeuern kann auch man bei Sportveranstaltungen und Castingshows und wer unbedingt Gewalt braucht, spielt halt Mortal Kombat oder so. Für jeden ist was da. Damals wie heute brauch niemand zu befürchten, dass er keine Unterhaltung findet, die ihn davon abhält, auch mal was Sinnvolles zu tun.

Auch im Theater zeugen mal wieder Stammplatzmarkierungen davon, wie gut besucht die Einrichtung war:
LAELIVS NARCISSVS OCCVPAT
Reserviert von Laelius Narcissus.

So, die Spiele hätten wir nun. Was ist mit dem Brot?

Gasthäuser gab es auf jeden Fall zur Genüge. Und ob ihr's glaubt oder nicht: Auch damals hatte man schon Fastfood im Straßenverkauf. Die Reste dieser Küchen sehen so aus:



Die Marmorplatten mit ihren Vertiefungen für Feuerstellen und Töpfe befinden sich direkt am Fußweg der Straße. Döner und Pommes gab es damals zwar noch nicht, dafür waren Snacks mit Käse und Honig sehr beliebt. Klingt erstmal ungewöhnlich, passt aber bei der richtigen Würze gar nicht mal so schlecht zusammen.
In den Gasthäusern wurde neben dem Essen natürlich besonders gern Wein gereicht, der teilweise in den Gärten der Stadt angebaut wurde. Und Kritzeleien gab es auch wieder.

SI QVISQVIS BIBIT CETERA TVRBA EST
Wenn einer trinkt, ist ihm alles andere wurscht.

FVTVI COPONAM
Ich hab die Wirtin gevögelt.

MATER EBRIA
Mutti ist betrunken.

OLIVA CONDITA XVII K NOVEMBRES
Oliven eingeweckt am 16. Oktober.

In Pompeji wurde für alle Bedürfnisse der Menschen reichlich gesorgt. Und damit sei noch eine letzte öffentliche Einrichtung erwähnt, die in dieser Stadt von besonderer Bedeutung ist: Hier wurde das einzige zweifelsfrei identifizierbare Bordell der Antike gefunden. Mit Bildern von nackten Römer/innen in eindeutigen Posen an den Wänden sowie diversen Graffitis zum Thema. Wobei es letztere ja in der ganzen Stadt gab.
IVCVDVS MALE CALA
Jucundus bumst schlecht.

Die Stadt muss in den Augen vieler Leute geradezu ein Hort der Unzucht gewesen sein. Tatsächlich lautet ein viel diskutiertes Graffiti in Pompeji: SODOMA GOMORRA
Vermutlich ein jüdischer Besucher, der die Worte verewigte. Und wie wir alle wissen, sollte sich das Schicksal dieser biblischen Städte hier tatsächlich wiederholen.

Es war das Jahr 79, in dem der Vesuv so heftig ausbrach, wie bis heute nie wieder. Zuerst gab es plötzlich ein schweres Erdbeben, das den Alltag der nichtsahnenden Pompeijaner unterbrach, während der Vulkan nebenan sein Gestein über 20 Kilometer hoch in die Atmosphäre schleuderte... und natürlich kam es in einer Affengeschwindigkeit wieder auf den Erdboden geprasselt. Nach dieser Bombardierung wurden Pompeji und seine umliegenden Städte schließlich noch in wenigen Stunden unter einer mehrere Meter dicken Staub- und Ascheschicht begraben. Viele der Leute, die sich der Gegend näherten, um zu helfen, kamen in den Schwefeldämpfen um. Und um auch das Schicksal der letzten Überlebenden zu besiegeln, schickte der Vesuv noch zwei pyroklastische Ströme hinterher. Der erste hat schon ausgereicht, denn wer auch immer von so einem Ding erwischt wird, ist hinüber. Und zwar sofort.

Das Einzige, was von den Menschen blieb, waren die Hohlräume im erhärteten Gestein.
Bei Ausgrabungen im 19. Jahrhundert wurden einige von diesen schließlich mit Gips gefüllt, sodass wir heute die seltsame Möglichkeit haben, die Verstorbenen im Moment ihres letzten Atemzuges zu sehen...



Wenigstens er hier schien einen halbwegs friedlichen Tod gehabt zu haben, hat vielleicht im Schlaf eine Überdosis Schwefeldämpfe eingeatmet...

Es braucht nur eine kleine Laune von Mutter Natur und alles, was bleibt, sind Ruinen.

Für den Rest des Artikels gibt es nun im Wechsel noch einige Bilder und Graffitis, die ich bisher nicht unterbringen konnte. Salve, amici!



IC SVMVS FELICES  VALIAMVS RECTE
Hier sind wir glücklich! Es gehe uns recht gut!



DVACI CAPELA DONATA NOMINE ABERAVIT
Ziege des Duacus, mit Namen Donata, ist davongelaufen.



XII K(ALENDAS) MAIAS PANEM FECI
Am 19. April habe ich Brot gebacken.


POMPEIIANIS FELICITER
Glück den Pompeianern!


ABOMINO PAVPERO QVISQVI QVID GRATIS ROGAT FATVS EST AES DET ET AC CIPIAT REM
Ich verabscheue die Armen! Wer um Geschenke bittet, ist ein Idiot. Erst zahlen, dann gibt's die Ware.



MOVE TE FELLATOR
Verp*** dich, *******lutscher!



ADMIROR TE PARIES NON CECIDISSE QVI TOT SCRIPTOTVM TAEDIA SVSTINEAS
Ich staune, Wand, dass du nicht zerfallen bist, da du soviel Blödsinn von Schreibern ertragen musst!



NIHIL DVRARE POTEST TEMPORE PERPETVO
CUM BENE SOL NITVIT REDDITVR OCEANO
DECRESCIT PHOEBE QUAE MODO PLENA FVIT
VENTORVM FERITAS SAEPE FIT AVRA LEVIS

Nichts kann für ewige Zeit fortdauern.
Nachdem die strahlende Sonne ihr Tagwerk verrichtet hat, kehrt sie in den Ozean zurück.
Der gerade noch prächtige Vollmond nimmt wieder ab
und das Toben der Stürme weicht oft einer sanften Brise.

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